Nach der geglückten Heimpremiere mussten wir am 2. Spieltag der Landesliga-Nord am vergangenen Sonntag zum SV Würzburg reisen. Die beschwerliche Anfahrt sowie etwas weiche Knie beim ersten Auswärtsspiel als Aufsteiger ließen zunächst nichts gutes ahnen, doch die Mannschaft zeigte sich erfreulicherweise gewohnt stabil und warf sich furchtlos in den Kampf. In der selben Aufstellung wie schon vier Wochen zuvor waren wir mit im Schnitt 50 Ratingpunkten weniger erneut der Underdog, doch davon sollte man von Beginn an wenig bis gar nichts merken.
An Brett 6 (S) steuerte Jindrich Novak in seiner unnachahmlichen Weise mit ungewöhnlicher und leicht dubioser Eröffnungsbehandlung schon nach wenigen Zügen zielgerichtet auf ein damenloses Endspiel zu. Als sein Gegner trotz seines Anzugsvorteils keinerlei Anstalten machte, die Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen, einigte man sich in der entstandenen ausgeglichenen Stellung früh auf ein unspektakuläres Remis. (½-½)
An Brett 2 (S) musste sich Tobias Brunner in einer Englischen Eröffnung eines frühen weißen Bauernsturms am Damenflügel erwehren, behielt die Situation aber gut unter Kontrolle. Der anschließende Zentrumsvorstoß des Würzburgers, der mit einem Bauernopfer verbunden war, brachte ebenso wenig und nach der Rochade im 17. Zug war Tobias aller Sorgen ledig. Um den 20. Zug herum überspannte der Würzburger den Bogen. Er gewann zwar seinen Bauern zurück, doch im Gegenzug bekamen die schwarzen Bauern im leergefegten Zentrum freie Bahn Richtung Umwandlung. Beim Versuch seinen auf Abwege geratenen Turm zu reaktivieren unterlief dem Heimspieler schließlich der entscheidende Fehler. Tobias nutzte die Gunst der Stunde und machte seinen Freibauern mit Unterstützung von Turm und Läufer zum Matchwinner. (½-1½)
An Brett 5 (W) versuchte Stephan Schmahl alle Hauptvarianten zu vermeiden und griff zum als giftig geltenden Torre-Angriff. Entgegen der aggressiven Intentionen entpuppte sich die weiße Eröffnungswahl jedoch nach einfachem und solidem Spiel des Würzburgers zunehmend als laues Lüftchen. Das Brett war schon nach nur 21 Zügen fast leer gefegt und so blieb den Kontrahenten nur noch, sich in einem völlig ausgeglichenen Turmendspiel gegenseitig zu belauern. Nach weiteren 16 eher belanglosen Zügen einigte man sich nach einer Zugwiederholung schließlich auf das leistungsgerechte Remis. (1-2)
An Brett 4 (S) ließ sich Philipp Mark in einer Nimzoindischen Verteidigung auf eine wildes Handgemenge im Zentrum ein, in dem er den besseren Überblick und die besseren Nerven behielt und nach einem Fehler des Würzburgers klaren Vorteil erreichte. Auf dem Höhepunkt der Zentrumsspannung fand Philipp eine Abwicklung, in der er nach einem weiteren Fehler seines Gegners einen Turm, zwei Springer und einen freien d-Bauern erhielt. Die verzweifelten Versuche der weißen Dame, Unruhe im schwarzen Lager zu stiften, konnten das Unvermeidliche nur noch hinauszögern. Langsam aber sicher koordinierte Philipp seine Figuren und setzte schließlich kurz vor der Zeitkontrolle seinen Freibauern zum triumphalen Siegeszug in Marsch. (1-3)
An Brett 1 (W) wählte FM Zdenek Haba gegen die schwarze Benoni-Verteidigung einen nach dem früheren deutschen Großmeister Fritz Sämisch benannten Aufbau. Bis zum 12. Zug folgten beide Spieler bekannten Theoriepfaden und erreichten eine ungefähr ausgeglichene Stellung. Nach beidseitigen Ungenauigkeiten in einem hochkomplexen Mittelspiel wogten der Kampf und die Stellungsbeurteilung mehrfach hin und her. Schließlich war es leider Zdenek, der bei aufkommender Zeitnot kurzzeitig die Übersicht verlor und auf die Verliererstraße geriet. Er nahm einen vergifteten Bauern, wonach sein König auf den offenen Linien einem schweren Angriff ausgesetzt war, dem er nur unter hohem Materialverlust entfliehen konnte. Das entstandene hoffnungslose Endspiel gab er sofort auf. (2-3)
An Brett 8 (S) griff Milo Müller zur Slawischen Verteidigung und erreichte gegen den harmlosen weißen Aufbau schnell eine bequeme Stellung. Nach einer vorteilhaften Öffnung des Zentrums ging Milo zum direkten Angriff über und gewann durch eine kleine Taktik (oder „Petite Combinaison“, wie der ruhmreiche kubanische Ex-WM José Raoul Capablanca zu sagen pflegte) einen Bauern, den er im Mittelspiel erfolgreich verteidigte. Im Endspiel T+L mit sechs gegen fünf Bauern stand er klar auf Gewinn, der ihm jedoch beinahe noch entglitten wäre. Den Turmtausch anzubieten war keine gute Idee, doch zu unserem Glück erlag auch der Würzburger der Illusion, er müsse den Turm behalten. Anschließend ließ Milo nichts mehr anbrennen und wickelte in ein Turmendspiel ab, das er sicher nach Hause brachte. (2-4)
An Brett 7 (W) sah sich Miroslav Kalous mit einer Art Tschigorin-Verteidigung konfrontiert, gegen die er sich mit dem soliden Königsfianchetto aufbaute. Als der Würzburger sich für die lange Rochade entschied, schien alles auf ein scharfes Gefecht hinzudeuten, doch Mirek blieb mit seinem König in der Mitte und folgte lieber ruhigen positionellen Bahnen. Zwar konnte er das Läuferpaar für sich verbuchen, doch weitere Vorteile waren nicht zu erreichen und so blieb die Stellung längere Zeit im Gleichgewicht. Mit zunehmender Spieldauer verlor Mirek jedoch leider den Faden, was in einem schweren Fehler im 22. Zug gipfelte. Seine Läufer wurden durch die schwarzen Zentralbauern kalt gestellt und fortan gab es nur noch Spiel auf ein Tor. Nach weiteren Fehlern verblieb schließlich ein Endspiel mit einer Qualität und einem Bauern weniger, das nicht zu halten war. (3-4)
An Brett 3 (W) entschied sich Christian Müller gegen die Französische Verteidigung zur Vorstoß-Variante. In einem seltenen Abspiel entwickelte sich mit dem weißen Springerpaar gegen das schwarze Läuferpaar ein schwerblütiger Positionskampf. Bis weit hinein ins Mittelspiel wogte der Kampf hin und her, ohne dass einer der Kontrahenten einen nennenswerten Vorteil verzeichnen konnte. Gerade als ein Remis immer wahrscheinlicher wurde, unterlief Christian ein schwerer Fehler, der forciert zu einem schlechten und nach einem weiteren Fehler verlorenen Endspiel führte. Christian wehrte sich mit einem Bauern weniger nach Kräften, konnte jedoch keine erfolgversprechende Verteidigung mehr finden und gab die hoffnungslose Partie kurz nach der Zeitkontrolle auf. (4-4)
Und hier noch einmal alle Paarungen und Ergebnisse im Überblick:
Nach diesem hart erkämpften Auswärtspunkt, der mit etwas Glück auch doppelt hätte ausfallen können, bleiben wir in der höheren Liga weiterhin ungeschlagen. Eine erfreuliche Momentaufnahme, die Mut macht!
Es folgt die aktuelle Tabelle, die Tendenzen zu einer „Zweiklassengesellschaft“ erahnen lässt:
Angesichts der Tatsache, dass es in dieser Saison aufgrund der reformierten 2. Bundesliga sehr wahrscheinlich drei, wenn nicht sogar vier Absteiger geben wird, kann jeder Mannschaftspunkt, ja sogar jeder Brettpunkt zum Zünglein an der Waage werden. Momentan stehen wir als Aufsteiger auf einem ausgezeichneten 4. Tabellenplatz, doch die schweren Brocken kommen erst noch und die Konkurrenz wird alles daran setzen, uns zu überholen. Da heißt es Ruhe bewahren und an die eigene Stärke glauben, nur dann kann das Ziel Klassenerhalt erreicht werden.
Bereits in knapp zwei Wochen, am Sonntag, den 3. Dezember, empfangen wir die 2. Mannschaft des SC Noris-Tarrasch Nürnberg. Aufgrund der Tabellensituation ein vielleicht schon vorentscheidendes Match, das wir mit aller höchster Konzentration angehen müssen und werden.
Zum Schluss würde ich gerne die seit letzter Saison liebgewonnene Tradition der Befragung des LigaOrakel wiederbeleben.
Vor dem Saisonstart sah uns das Orakel als Aufsteiger mit einer Wahrscheinlichkeit von 95,2 % verständlicherweise als einen der Abstiegsfavoriten an:
Nach zwei Runden und drei stark erkämpften Mannschaftspunkten hat sich das Bild deutlich zu unseren Gunsten verändert:
Wie immer sind diese Vorhersagen mit einem Zwinkern zu betrachten! 😉